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Bericht zur 29. ICHC (2018)

Aus fahrrad-wiki

Bericht von der 29. Konferenz der International Cycle History Conference (ICHC) in London, Juni 2018

Die 29. ICHC Konferenz fand an drei Tagen in der altehrwürdigen Londoner Guildhall mit 60 Teilnehmern und 38 Vorträgen statt. Einige Beiträge sollen hier erwähnt werden.

Roger Street widersprach der These, es habe nur einen kurzen Hobby Horse Boom von 1818 an für zwei Jahre gegeben. Er führte zahlreiche Dokumente an, die belegen, dass die „Pedestrian Accelerators“ Jahrzehnte lang benutzt wurden.

Person:Tony Hadland aus England referierte für den abwesenden Ungarn Endre Varsa über die Schweizer Rappa Tretlagerschaltungen aus Rapperswil. Sie wurde in deutschen Wittler, dänischen Hamlet und schwedischen Hermes Räder verwendet. Der Gewichtsnachteil dieser Räder lag bei 400 Gramm im Vergleich zu Nabenschaltungen. Der Preis war 50 Prozent teurer als das Normalrad. Ann Hall aus Kanada berichtet über amerikanische weibliche Rekordläufer- (Pedestriennes) und Rekordstrecken - Hochradstars der 1890er Jahre.

Jan Kralik aus Tschechien berichtete über Dreiräder, die schon Jahrzehnte vor 1869 mit Hand- oder Fußhebelantrieb betrieben wurden.

Ich selbst, Heinrich Bültemann-Hagedorn, habe die Arbeit von Ösingmann, Böttcher, Eggers und Althoff vom Winterreffen 2018 in Bad Hersfeld über Webers Beitrag zur Entwicklung des Fahrraddynamos und ihr Scheitern beim Nachbau vorgetragen.

Chris Sweet aus USA zeigt Bilder berichtet über die Ausbeutung von amerikanischen Bicycle Messenger Boys und berichtete über die sich aus diesen Missständen entwickelnden Jugendschutzgesetzen gegen Kinderarbeit, später allgemeine Arbeitsschutzgesetze. Marc Rerceretnam aus Australien entdeckte Zeitungsartikel aus Sydney von 1845, die auf die Existenz eines Tretkurbelvelozipeds hinweisen. Dort wird über eine Wette berichtet, dass es möglich sei, eine bestimmte Strecke im heutigen Sydney von einer Meile Länge mit Steigungen und Gefälle auf dem Velociped zu fahren ohne mit den Füßen den Boden zu berühren. Die Wette sei gewonnen worden. Una Brogan aus Frankreich und England erarbeitete sich aus britischer Literatur und Zeitschriften zwischen 1890 und 1910 einen Überblick über das Fahrrad als Motor des gesellschaftlichen Wandels. Sie berichtet über die damalige Sicht der Vor- und Nachteile von Damen- und Herrenfahrrädern und den befürchteten Zusammenhang von Masturbation, Fahrradfahren und selbstständiger Mobilität der Frauen. Vier weitere Vorträge beschäftigten sich mit dem Frauenradfahren. Tony Hadland aus England widerlegte die These, das Fahrrad habe seit 1890 Einfluss auf die Evolution des Menschen gehabt, dadurch , dass der Aktionsradius durch die neue Mobilität vergrößert worden sei und dadurch Vermischung in weiter entfernte Gegenden möglich geworden sei.

Gary Sanderson aus USA hat alles über die Geschichte der Marken Iver Johnson und Lovell von den 1890ern bis 1942 und ihrem schwarzen Rennfahrer Major Tayler zusammengetragen.

Mehrere Vorträge aus verschiedenen Organisationen des Gastgeberlandes beschäftigten sich mit dem Londoner und britischem Radwegenetz und den Anstrengungen, den Anteil der Radfahrer am Verkehr zu vergrößern.

Michael Grützner, Deutscher in England, hat erforscht, welches das erste kettenlose Fahrrad mit Kardanantrieb war, das wirklich auch käuflich zu erwerben war: Es kam 1893 von The League Cylcle Company in USA als frauenfreundliches Rad und als die „größte Erfindung unter der Sonne“ und kostete 150 Dollar, deutlich mehr als ein kettengetriebenes Rad. Zwanzig der etwa 2000 bis 1895 hergestellten League Company Räder sind noch erhalten. Danach sind die Räder der insolventen Firma für 65 Dollar verschleudert worden. Andere bei Wikipedia genannte frühere kettenlose Räder sind nur Patentanmeldungen, die nicht gebaut worden sind. Erst der Fahrradgigant Pope produzierte ab 1898 kettenlose Safeties erfolgreich in großer Stückzahl.

Michael Gateley aus USA wertete das 1899er Fahrradtourennotizbuch einer Englanddurchquerung des späteren amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson aus. Als Universitätsprofessor in Princeton benutzte Wilson sein Rad für den täglichen Weg zur Arbeit. Seine Tour durch das Heimatland seiner Mitter war über 600 Meilen lang. Das Tourennotizbuch war 1963 in einem Abstellraum des Weißen Hauses gefunden worden.

Brian Griffin aus England beschrieb Velozipede in Irland von 1817 bis 1870. Mit diesem Begriff waren auch oft Drei- und Vierräder gemeint, so ein 1843er Dreirad mit Handhebelantrieb.

Person:Chris Morris, Brite aus Kanada, beschrieb die Geschichte der kettenlosen Fahrräder, teilweise kombiniert mit Schaltgetriebe, vom Columbia von 1901 über Acatene, Noricum, Dürkopp, Fendt und den gegenwärtigen asiatischen Marken bis zu asiatischen Mietfahrrädern mit Kardanantrieb in Mailand. Das Problem ist seit 125 Jahren das gleiche: Übermäßiger Verschleiß durch hohe Drehmomente, Lebensdauer nur 10 000 bis 30 000 Kilomenter.

Glynn Stockdale aus England brachte einen echten Scheunenfund mit: Ein Hobby Horse aus der Manufaktur von Dennis Johnson. Damit sind jetzt elf originale Dennis Johnson Hobby Horses bekannt. Dieses ist eines von zweien mit der frühen schlecht zu fahrenden indirekten Lenkung. Die Räder fehlten und wurden rekonstruiert. Der Baggerfahrer, der das Wrack beim Abriss einer Scheune gefunden hatte, hatte es zwei Jahre lang nach dem Fund zu Hause in seiner Garage gelagert und hat einen sehr hohen Preis von Stockdale erhalten. Dan Farell aus England zeigte eine Übersicht über britische Fahrräder mit kleinen Rädern seit 1970 wie Raleigh, Moutain, Dawes, Kingpin, Newpin, Bickerton, Brompton.

Walter Ulreich aus Österreich stellte die Jahre nach 1868 dar, als das Velociped nach Wien kam. Zwei behinderte Radfahrer, Isabelle Clement und Kevin Hickman aus England stellten die Geschichte des Behindertenfahrrades seit den Zeiten des Nürnberger Uhrmachers Stephan Farffler mit seinem frontzahnradgetriebenem Dreirad von 1665 dar.

David Herlihy aus USA gab viele Indizien aus Zeitungsartikeln dafür, dass die mit Hinterradgestänge angetriebenen Velocipede aus den 1840er Jahren von MacMillan, McCall und Dalzell aus Schottland gar keine Zweiräder, sondern Dreiräder waren. In den 1890er Jahren hatte es einen Aufruf nach Beweisen für die britische Urheberschaft des selbst angetriebenen Fahrrades (nicht Laufmaschine) gegeben mit hoher Belohnung. Damit sollten französisch-amerikanische Patente umgangen werden, um den Export britischer Fahrräder nach USA zu begünstigen. Nach über 50 Jahren gab es aber in den 1890er Jahren nur noch unsichere Berichte aus zweiter oder dritter Hand über Trethebelvelocipede in Schottland, die seitdem als Beweis der Erfindung des gestängebetriebenen Zweirads von MacMillan angesehen worden waren.

Nicholas Oddy aus Schottland gab Beispiele für das Konstruieren von Geschichte: Das DaVinci Fahrrad, Drais und das Mannheimer Pferdesterben, MacMillans gestängegetriebenes Zweirad.

Peter Card aus England berichtete über die Entwicklung der Nabenlampen für Hochräder seit der Salsburg Lampe von1876. Interessant waren die Bilder der Nabenlampe mit Stabilisierungsstab nach oben und der Weiterverwendung von Nabenlampen nach dem Ende der Hochradzeit: Neben der Vorderradachse des Niederrades wurde eine seitliche Verlängerung montiert, an der die alte Ordinary Nabenlampe hing.

Stephen Ransom, Amerikaner in Deutschland, berichtete über einrädrige Velocipede (Monocycles) ab 1851. Keizo Kobayashi, Japaner in Frankreich, hat weiteres über die Vorstellung der Laufmaschine des Freiherrn von Drais in Paris 1817 herausgefunden. Der Monsieur Dineur, der in den Berichten erwähnt wird, ist nicht, wie bisher vermutet, der in französischer Schreibweise geschriebene Diener des Freiherrn von Drais, sondern ein in Montmartre ansässiger Franzose namens Dineur.

Ein Poster von Hans-Eberhard Lessing aus Deutschland berichtete über den ersten Radfahrer Englands: Ein vierzigjähriger Mannheimer Musiker namens Bernhard Sinn, der in Bath unter dem Namen Seine arbeitete, hat das Pamphlet für die Drais´sche Laufmaschine sehr bald nach ihrer Veröffentlichung mitgebracht und fuhr oft mit seinem Veloziped in der Stadt Bath durch die steilsten Straßen und Schlaglöcher, aber hatte nie einen Unfall. Möglicherweise schon im Februar 1818, vor dem Boom der Hobby Horses von Dennis Johnson ab Weihnachten 1818.

Der Kongress schloss mit einem sehr traditionellen feierlichen englischen Bankett in der Cutler`s Hall.

Wie jedes Jahr werden die ausführlichen Vorträge in PDF Form und auch gedruckt veröffentlicht, erhältlich in einigen Monaten bei The International Cycling History Conference, Gary Sanderson, wheelmangary@gmail.com.

Heinrich Bültemann-Hagedorn, Bremen